Fotografie

Vor Ort - Fotografie im Rhein-Neckar-Dreieck

Ausstellung im Mannheimer Kunstverein

22.01. bis 02.04.2023

Rezension »Metropol«

BLICK AUF DIE WELT

FOTOGRAFIE VOR ORT IN DER METROPOLREGION RHEIN-NECKAR

Bald ist die Fotografie 200 Jahre alt. Während dieser Zeit hat sie sich beständig verändert – einmal technisch, und vor allem hat sich der Blick der Fotografen auf die Welt verändert. Auch verändert hat sich die Zahl der Fotografen in aller Welt. Heute ist jeder sein eigener Fotograf und er benötigt nicht einmal mehr eine Kamera dazu. Das Smartphone ersetzt in vielen Fällen die Kamera und in gewisser Weise auch den Blick derer, die da auf den Auslöser drücken. Die Mobiltelefonkamera speichert nämlich, vom Bedienenden gänzlich unbemerkt, mehrere Aufnahmen eines Motivs, das anvisiert wird, noch bevor der Auslöser gedrückt wird, um dann ein vermeintlich optimales Ergebnis präsentieren zu können. Ein bewusst nicht-perfektes Foto ist damit kaum noch möglich.

Die Fotografie hat mit vielen Irrtümern zu kämpfen. Der verbreitetste und hartnäckigste ist die Vermutung, dass eine Fotografie die Wirklichkeit abbildet. Sie zeigt aber immer nur einen Ausschnitt von vielen möglichen Realitäten, eine Ansicht, die einen Lidschlag später bereits Geschichte ist. Zudem ist dies eine Wirklichkeit, die der Seherfahrung vermeintlich entspricht, die aber dem schweifenden Blick des Auges nicht folgen kann. Mit der Farbfotografie ist diese trügerische Plausibilität eher noch gewachsen – der fotografische Blick ist ins Sehrepertoire der Menschen hineingewachsen.

Aus einer Vielzahl von Möglichkeiten pickt der Fotograf sich einen Sekundenbruchteil heraus. Die offensichtliche Magie dieses Momentes ist es, die den Betrachter glauben macht, dass das, was er da sieht, wahrhaftig ist. Die Subjektivität des Fotos ist natürlich die des Fotografen. Er verdichtet Zeit in einen einzigen Augenblick und schafft teilweise absurde Situationen, die jedoch unwillkürlich als Charakteristikum wahrgenommen und angenommen werden.

Die Fotografie als Berufsbild hat in den meisten Fällen mehr oder weniger ausgedient. Zumindest der Bildjournalismus tut sich besonders schwer, ist doch jederzeit eine Flut von Bildern über das Netz kostenlos oder mit einem nur kleinen Honorar verfügbar. Die Kunst hat sich der Fotografie sehr früh bemächtigt. Zunächst als Zulieferer – Künstler haben das Potential der Fotografie als Vorlage sehr schnell erkannt. Bis die Fotografie allerdings selbst als eigenständige Sparte der Kunst akzeptiert wurde, musste ein langer Weg zurückgelegt werden. Heute ist es für Fotografen zunehmend eher unwichtig, ob ihre Arbeit als Kunst anerkannt wird oder nicht.

Das zweihundertjährige Erbe, auf das wir zurückblicken, erfüllt mehrere Funktionen. Einmal die des visuellen Bildgedächtnisses der Menschheit, das als Quelle für die historische Forschung unabdingbar ist und zum zweiten die eines künstlerischen Mediums, das die Sehweisen und Blicke unserer Vorfahren zu dokumentieren in der Lage ist.

Mit 42 Teilnehmern zeigt der Mannheimer Kunstverein ein weites Feld künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten. Von der Street Photography über Landschaftsdarstellungen, Porträtfotografie, Doppel- und Mehrfachbelichtungen hin zu inszenierter Fotografie und vieles mehr. Die Vielfalt der fotografischen Ansätze und Blickwinkel ist beeindruckend und zeigt das breite Spektrum der aktuelle Fotoszene.

Als erstes erhaltenes fotografisches Bild gilt bis heute ein Blick aus dem Fenster seines Arbeitszimmers von Nicephore Niepce von 1826. Mit Louis Daguerre erlangte die Fotografie dann 1839 allgemeine Anerkennung. Im August dieses Jahres luden die Akademie der Wissenschaften und die Akademie der Bildenden Künste Paris zur Präsentation der Erfindung der Fotografie ein. Kein Wunder, dass die Bildenden Künstler sehr schnell von den Möglichkeiten der Fotografie begeistert waren, auch wenn sie den Ausdrucksmöglichkeiten dieser neuen, abbildenden Kunst noch nicht viel abgewinnen konnten. Das änderte sich erst mit den technischen Fortschritten, die immer kürzere Belichtungszeiten und vor allem kleinere, handlichere Kameras hervorbrachten.

Die Abbildung der äußeren Wirklichkeit gerinnt jedoch schon immer zu einer sehr persönlichen Konstruktion von Realität. In jeglicher Fotografie ist damit die Konfrontation des Ichs und der Welt gegenwärtig – mal auf kaum merkliche, subtile Art und Weise, mal in einer radikalen Inszenierung einer anderen Welt, die deutlich subjektiv ist. Was vor allem in der Dokumentarfotografie möglicherweise eher als hinderlich begriffen wird, ist in Wirklichkeit jedoch ein großer Vorteil: Durch das Auge des Fotografierenden wird die Darstellung immer individuell interpretiert. Dadurch erlangt das Foto den Status einer nicht nur zeitgenössischen Bildquelle, sondern zusätzlich noch eine ganz individuelle Sichtweise, die den aktuellen Diskurs der Zeit auf die eine oder andere Weise widerspiegelt.

Heute fotografiert beinahe unterschiedslos jedermann mit seinem Mobiltelefon. Das Medium Fotografie ist radikal demokratisch geworden. Damit ist es auch einer nachhaltigen Veränderung unterworfen. Die sozialen Medien bedienen sich der Fotografie und sind damit nicht nur textlich, sondern auch bildlich immer am Puls der Zeit. Sicherlich ist vieles davon verzichtbar und irrelevant, bildet jedoch gleichzeitig einen gewaltigen Informationspool für alles und jedes, der omnipräsent ist.

Der Mannheimer Kunstverein trägt dieser Tatsache mit seiner Ausstellung Vor Ort Rechnung und zeigt aus dem großen Fundus von kreativen Fotografen der Metropolregion Rhein-Neckar eine Auswahl von aktuellen und bereits historischen fotografischen Positionen. Die getroffene Auswahl wurde nach intensiven Recherchen in der Fotoszene der Region von einer Fachjury getroffen. Dieser war es vor allem anderen wichtig, eine möglichst breite und qualitativ schlüssige Schau zusammenzustellen, um ein aktuelles Bild der Szene zu ermöglichen. Dabei konnte es nicht die Intention sein, enzyklopädische Vollständigkeit vorzustellen. Entstanden ist ein lebendiges Bild der Zeit, signifikant für die beginnenden 20er Jahre unseres Jahrhunderts – nicht mehr und nicht weniger.

Vor Ort, 22. Januar bis 2. April, Mannheimer Kunstverein, www.mannheimer-kunstverein.de

Martin Stather, Metropol, Januar/Februar/März 2023

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