Fotografie

Kunst in den Gewölben

Mitgliederausstellung des Kunstvereins Germersheim

01.11 bis 07.12.2025

Einführung Günter Baumann

Liebe Freunde und Freundinnen der Kunst,

wie sollte man über 40 Kunstschaffende vorstellen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, Mitglieder des Kunstvereins Germersheim zu sein und das Glück zu haben, unter einem der schönsten Ausstellungsgewölbe auszustellen, das man sich denken kann? Richtig: gar nicht. Also nicht erschrecken, um niemandem nicht gerecht zu werden, sei diese Rede keine Einführung über die Positionen in dieser Ausstellung, sondern eine Hinführung zur Kunst. Und doch, der Ort hier ist gewichtig genug, um zumindest den Titel der Ausstellung zu nennen: KUNST IN DEN GEWÖLBEN, recht so: Denn hier treffen sich Malerei, Grafik, Skulptur, Fotografie, Objekt und Poesie – ein kunterbuntes Treiben der Disziplinen, das ungefähr so geordnet ist wie ein Familienfest, bei dem es Dialoge und Auseinandersetzungen, Zusammensein und Widersprüche gibt. So ist die Welt, vielfältig wie die Protagonist*innen, die sie gestalten. Also: keine Regel, aber viel Haltung. Kein Thema, aber jede Menge Wille zum kreativen Tun.

»Alles ist möglich« klingt nach grenzenloser Freiheit – und genau das ist es. Aber Freiheit in der Kunst heißt nicht Beliebigkeit. Im Gegenteil: Wer alles darf, sollte umso genauer wissen, was er will. Denn wer könnte schon alles auf einmal erfassen und künstlerisch umsetzen – die Stille und den Lärm, Krieg und Frieden, den Zweifel und das Glück, das Sichtbare und das Unsichtbare. Erst die Fülle und Vielfalt macht ein Ganzes. Unsere Welt ist nicht mehr mit einem Gehirn zu begreifen, war sie wohl auch nie. Doch bis ins 16. Jahrhundert konnte ein Künstler oder Schriftsteller ein stimmiges Weltbild entwerfen – man denke an Michelangelo oder Shakespeare. Danach wuchs das Wissen der Welt über das Denken von Einzelnen hinaus. Das muss uns nicht betrüben, im Gegenteil: Die Kunst zeigt, was passiert, wenn Menschen ernst machen mit der Idee, dass sie keine Schubladen braucht. Mal ist sie laut, mal leise, mal groß, mal winzig, mal zum Nachdenken und mal zum Durchatmen.

Es mag manchen geben, der Sorge hat, sich in der Kunst nicht mehr zurecht zu finden. Selbst als Kunsthistoriker steht man etwa in Kassel während einer Documenta-Schau oder auf der Biennale in Venedig – und wundert sich, dass die meisten Künstlernamen unbekannt sind. Durchatmen: Nie war die Kunst vielfältiger als in den letzten 50 Jahren. Und dennoch ist eine themenoffene Ausstellung kein Freifahrtschein für Chaos, sondern eine Einladung zum Denken, vielleicht ohne Beipackzettel. »Alles ist möglich« heißt: Jede Ausdrucksform darf sein, wenn sie etwas zu sagen hat. Denn Kunst ist keine Dekoration des Lebens, sondern seine Übersetzung. Und was ist letztlich schön? Da hilft Immanuel Kant, der als großer Aufklärer der Philosophie als Devise aller Ästhetik ausgab: Schön sei, was ein interesseloses Wohlgefallen auslöse. Das heißt: nicht das Preisschild oder der Name ist entscheidend, sondern der Moment, bei dem man vor einem Kunstwerk stehen bleibt. Dass man schaut. Dass man fühlt, ohne genau zu wissen, warum.

Wer in eine Ausstellung geht, darf sich treiben lassen. Es gibt in der Regel keine festgelegte Route, keine richtige Reihenfolge, kein Pflichtprogramm – und ganz sicher: Wir bestimmen die Zeit, die wir vor einem Kunstwerk verbringen. Die Wahrnehmungspsychologie hat festgestellt, dass der Durchschnittsbesucher eines Museums eine Handvoll Sekunden für ein Bild investiert – das ist bitter, aber Fakt. Das Ideal sieht anders aus: Gemälde, Grafiken, Plastiken, Fotos, Installationen, Videos oder Lyrik wollen entdeckt werden wie ein gutes Gespräch: Schritt für Schritt, Werk für Werk. Vielleicht verliebt man sich in eine Zeichnung, vielleicht irritiert einen ein Objekt, vielleicht lacht man über ein Gedicht oder bleibt nachdenklich vor einem Foto stehen. Alles ist erlaubt. Nur Gleichgültigkeit wäre schade. Denn Kunst – das lehrt uns jede Begegnung – ist keine Pflichtveranstaltung. Sie ist ein Abenteuer. Und manchmal das schönste, das man sich gönnen kann.

Kunst ist die älteste Form menschlicher Kommunikation – älter ist nur das Staunen. Und das darf noch heute die schönste Regung sein, die uns treibt, Kunst zu machen und Kunst zu genießen. Natürlich gibt es tausendundeins Gründe, sich kreativ zu betätigen. Joseph Beuys prägte das geflügelte Wort, jeder sei Künstler. Er hatte recht und unrecht zugleich. Jedem sei empfohlen, seine Fantasie zu gebrauchen: malen, singen, zeichnen, bildhauern, schreiben, Theater spielen usw. Das Leben wird zu sehr von Technokraten und rückwärtsgewandten Idioten geprägt. Wieviel mehr wiegt ein freier Geist, den die Fantasie zum einen, das Staunen zum anderen speisen. Zum anderen ist das mit dem Künstlersein so eine Sache. Der Begriff ist nicht geschützt. Was am Ende als die Kunst übrig bleibt, die als Ausdruck ihrer Zeit Gültigkeit erhält, ist nur ein Gipfelstück der Schöpfungen. Nur ganz wenige Kunstschaffende werden dauerhaft auf einem Treppchen der öffentlichen Gunst stehen können. Das Werk aller anderen wird im Idealfall in die Privatsphäre seiner Liebhaber*innen eintauchen. Das ist jedoch nicht wenig.

Auf jeden Fall sucht Kunst ihr Publikum. Was allerdings im Museum, in einer Städtischen Galerie, in einer Galerie oder in einem Kunstverein landet, haben wir nicht in der Hand – am ehesten noch im Kunstverein, jenem weltweit einzigartigen, institutionalisierten Ausstellungswesen, das Räume zur Präsentation bereitstellt, zumindest bei Mitgliederausstellungen. Es gibt mehr als 300 Kunstvereine in Deutschland. Kaum auszumalen, wie viele Künstler und Künstlerinnen mit und ohne Ausbildung, mit einem etablierten oder einem hobbymäßig betriebenen Werk sich da tummeln. Was die Güte angeht – ich vermeide den subjektiv wertenden Begriff der Qualität, die sich freilich durchaus messen lässt – was die Güte angeht, befinden wiederum zahllose Menschen und Medien: Kunsthistoriker, Galeristen, Kritiker, Sammler und auch Menschen wie du und ich: als Mitspieler, Mitdenker, Mitfühler, kurzum: das Publikum. Was wirklich gut ist, bleibt schwer kalkulierbar, aber es gibt eine unsichtbare Energie, die ein Werk lebendig macht, man spürt sie – wie eine Schwingung, die den Raum verändert. Er wird, wie gesagt, zum Ort des Staunens, des Suchens, des Scheiterns und zwischendurch hoffentlich auch des Frohsinns. Kunst ist kein Ornament der Welt, sondern ihr Resonanzraum. Sie sollte ein Echo unserer Fragen sein, unserer Sehnsüchte, unserer Lust am Denken.

Doch trotz alledem: Ich habe keine Ahnung, was Kunst grundsätzlich, definitiv ist. Die Kunst ist wie eine große Familie mit einem riesigen Stammbaum, der nicht weniger als die ganze Welt umfasst – und wer würde schon die nächsten Anverwandten alle gründlich kennen? Alle kreativ Tätigen, die im uferlosen Meer der Fantasie schwimmen, treten freundschaftlich oder konkurrierend ein ins Streben nach dem Quäntchen Wahrheit, nach Bedeutung, Aufmerksamkeit, vielleicht auch nach Ruhm und Ehre. Das Gemeinsame all des Strebens hat Paul Klee vor knapp über 100 Jahren formuliert, daran ist eigentlich nichts hinzuzufügen: »Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar.« Und wer sich auf den Zauber einlässt, wird irgendwann entdecken: Nicht wir machen die Kunst – die Kunst macht uns.

In diesem Sinne: Wohl bekomm’s. Genießen Sie diese Ausstellung und die Künste im Allgemeinen.

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Rezension »Die Rheinpfalz« - 06.11.2025

Neues aus den Ateliers

Unter dem Motto »Kunst in den Gewölben« präsentiert der Kunstverein Germersheim seine Mitgliederausstellung im Zeughaus. Es beteiligen sich 45 Künstler mit Malerei, Grafik, Skulptur, Fotografie, Objekt und Lyrik – die Bandbreite reicht von ambitionierten Autodidakten bis zu Künstlern mit fundiertem akademischem Hintergrund.

Von Barbara Eichenlaub

Die Gewölberäume des historischen Zeughauses in Germersheim sind wie geschaffen für atmosphärisch stimmige Kunstausstellungen. Regelmäßig kuratiert der Kunstverein erstklassige Schauen mit Gastkünstlern, dazu alle zwei Jahre große Mitgliederausstellungen. Unter den Teilnehmern sind langjährige Mitglieder, die regelmäßig, meist mit aktuellen Werken bei der Gruppenschau zu sehen sind, und Neuzugänge.

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