Fotografie

Metamorphosis

Ausstellung im Kunstmuseum Heidenheim

12.08.2023 bis 05.11.2023

Rundgang

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Broschüre: Text Marco Hompes

Der Mensch hinterlässt Spuren. Diese Spuren spiegeln jeweils gegenwärtige Bedingungen, Wünsche und Leistungen einer Gesellschaft wider. In seiner fotografischen Arbeit beschäftigt sich Rainer Zerback mit den zivilisatorischen Hinterlassenschaften unserer Zeit. So widmete er sich in früheren Serien bereits dem Massentourismus, den Zeugnissen der Industrie in Städten, Autoschrottplätzen oder Arbeitsmitteln und Behausungen in eher wenig besiedelten Gegenden der Welt. Letztere sind in der Serie »Contemplationes« festgehalten, von denen eine Arbeit in einem gesonderten Raum im Erdgeschoss des Kunstmuseums zu sehen ist.

Für sein aktuelles Projekt METAMORPHOSIS reiste der Künstler mehrfach auf die Schwäbische Alb. Im Anschluss an eine Serie über urbane Räume interessierte ihn das Bild einer deutschen Landschaft zwischen Tradition und Innovation. Ihm ging es darum, mit der Kamera eine Region zu erkunden, deren Gesicht sich durch den Strukturwandel im Wandel befindet.

Die Alb ist zwar nicht der einzige ländliche Raum, an dem dies geschieht, weshalb Zerbacks Fotos einen gewissen Allgemeinheitsanspruch besitzen. Manche der entstandenen Bilder könnten so auch andernorts zu finden sein. Eine genaue Lokalisierung ist aus diesem Grund nicht immer möglich, was vom Fotografen auch gar nicht intendiert ist.

Die Schwäbische Alb eignet sich jedoch aus mehreren Gründen für eine künstlerische Untersuchung. Das deutsche Mittelgebirge ist nicht nur landschaftlich besonders reizvoll. Es ist darüber hinaus ein Paradebeispiel für einen tiefgreifenden und durchaus erfolgreichen Strukturwandel. Wie kaum eine zweite Gegend hat sich die auf Grund der wasserlöslichen Kalkböden und des geringen Wasservorkommens früher eher ärmliche Gegend zu einem Landstrich mit weltweit führenden Industrien und sogenannten »Hidden Champions« entwickelt.

Die damit verbundenen Modernisierungsprozesse sind überall auf der Alb sichtbar und treffen auf Zeugnisse aus früheren Zeiten. Zerback reiste mit dem Vorhaben auf die Alb, die Spannung dieses Prozesses in Bildern festzuhalten. Welches sind Relikte des Glaubens und der Tradition? Wie gleicht der aktuelle Wohnungsbau Beispielen in urbanen Gebieten? Worin offenbaren sich Handwerk, Geschichte, Bildung, Freizeit, Sport und Tourismus und wie interagieren diese mit der bestehenden Landschaft? In typologischer Weise erfasst er diese Themen und findet so zu Bildern, die einer Thematik zugeordnet sind, aber auch als Einzelaufnahmen funktionieren.

Für das Kunstmuseum Heidenheim traf Zerback erstmals eine Auswahl aus den bisher entstandenen Aufnahmen der noch nicht fertiggestellten Serie. Hierbei liegt der Fokus auf der Gegenüberstellung von typischer Landschaft, Relikten des Glaubens und der Geschichte und modernen Arbeitsbedingungen.

Den Auftakt zur Ausstellung markiert ein dem Heidenheimer Publikum bekanntes Motiv: die Steinernen Jungfrauen im Eselsburger Tal. Das Naturschutzgebiet gehört mit seinen Felsenformationen, den Heideflächen und der Brenztalschlinge zu einem der schönsten Ausflugsziele in der Region. Doch in der heutigen Unterhaltungskultur ist eine schöne Landschaft alleine nicht mehr genug. Als Kletter-, Wander- und Radfahrgebiet, durch Lenkdrachen- und Wassersport ist das Eselsburger Tal an guten Tagen ein Anziehungspunkt für verschiedene Freizeitaktivitäten, was die Idylle des Ortes durchaus stört. Für die Tourismusbranche sind fotogene Naturräume von großem Interesse, da sie sich gut vermarkten lassen und hohe Besuchszahlen versprechen.

Zerback hält diese ambivalente Situation in der Fotografie Climbing fest. Wie bei früheren Serien zum Massentourismus helfen ihm digitale Bearbeitungen dazu, Dichte und Leere im Bild in Balance zu bringen. Zerbacks Fotografie liefert die Kritik im Subtext. Auf den ersten Blick wirkt sie gänzlich dokumentarisch, erst bei genauerer Hinterfragung und im Vergleich zu den anderen, meist menschenleeren Fotografien der Serie wird deutlich, dass hier der Einfluss des Menschen auf das Gesicht der Landschaft eine kritische Komponente enthält.

Die Schwäbische Alb ist nicht nur ein Landschafts-, sondern auch ein Geschichtsraum. Im Zentrum der Arbeit Euthanasie steht ein gelb gestrichenes Gebäude, dessen unterschiedliche Funktionen nicht alleine aus den architektonischen Formen ablesbar sind. Erbaut wurde es als Jagdschloss, doch erst der Werktitel gibt auch Nicht-Ortskundigen Auskunft darüber, wodurch der Bau heute bekannt ist. Es handelt sich um die Tötungsanstalt Grafeneck. Im Rahmen der sogenannten Aktion T4 wurden hier rund 10.000 Menschen mit Behinderung ermordet. Gerade abgeschiedene, ländliche Gebiete eigneten sich in der (deutschen) Geschichte immer wieder dazu, Vorhaben, die möglichst geheim gehalten werden sollten, durchzuführen. Grafeneck war durch seine abgeschiedene Lage prädestiniert dafür. Zerback zeigt das Gebäude nüchtern, in zentralperspektivischer Aufnahme. Weder eine besondere Tonalität noch Manipulationen des Vorgefundenen transportieren die dramatische historische Bedeutung des Gebäudes. Dadurch wird die Banalität des Bösen deutlich. Das ursprüngliche Jagdschloss unterscheidet sich kaum von anderen Schlössern in der Gegend. Es ist der Mensch, der darin Geschichte schreibt.

Ein offenbar auffälliges Merkmal des ländlichen Raums in Süddeutschland fand Rainer Zerback auch in Wegkreuzungen, Kapellen und religiösen Figuren. Sie sind allerorts anzutreffen. In ihnen zeigt sich eine religiöse Geschichte und eine Gläubigkeit, die nicht nur große Kirchen braucht, sondern auch kleinere, mitten in der Landschaft stehende Glaubensorte.

Schaut man sich die Kapelle an, so mag es vielleicht überraschen, dass der gezeigte Bau in einem sehr gepflegten Zustand ist. Direkt an einer (mittlerweile) geteerten Wegkreuzung gelegen, an der wohl vorwiegend Autos vorbeirasen, und angesichts der immer weiter steigenden Zahl an Kirchenaustritten ist die Kapelle ein Sinnbild für die Pflege der Tradition.

Freizeitangebote sind ein wichtiges Thema für die Attraktivität einer Region. Die immer größere Mobilität der Menschen oder die Möglichkeiten digitaler Arbeitsplätze lässt gerade Gemeinden im ländlichen Raum danach fragen, wie man die Bevölkerung, gerade die Jugend, am Ort halten kann. Mit Sportplatz und Skatepark zeigt Zerback in zwei Arbeiten moderne Plätze für die sportliche Betätigung (Jugendlicher). Statt heruntergekommener Bolzplätze aus früheren Jahrzehnten fand der Fotograf auf der Alb recht neue Plätze, die zum Skaten, Fußball- oder Basketballspielen einladen. Im Zentrum einer Großstadt wären solch großzügige Anlagen schwer vorstellbar. Wie in vielen seiner Werke verzichtet der Ludwigshafener hier auf Menschen, für die die Sportanlagen eigentlich gebaut sind. Dadurch liegt die Konzentration auf der Ästhetik aus braunem Grund und farbigen Linien beziehungsweise den hellgrauen Rampen und Vertiefungen.

Gerade in der Arbeit Sportplatz zeigt sich auch die Trennung von Natur und Sportanlage. Dieser ist durch Zäune ebenso abgesperrt wie der dahinterliegende Wald. Organisches Wachstum und geometrische Formen des Platzes bilden einen Kontrast, weshalb die Sportanlage ein wenig wie ein Fremdkörper wirkt.

Vergleichsweise günstige Grundstücke, mehr freie Flächen, kostengünstigere Arbeitskräfte und politische Akzeptanz sind Vorteile des ländlichen Raums und Gründe, warum große Konzerne sich hier niederlassen. Ein Foto, das diesen Umstand beinahe sinnbildlich fasst, ist Parkhaus. Zu sehen ist ein klar strukturierter Baukörper mit einer Fassade aus transparentem Edelstahlgewebe. Der Schriftzug »Hugo Boss« macht klar, dass es sich um eine Repräsentanz des Moderiesen handelt. Zerback zeigt das Parkhaus als einen, die ganze Bildbreite einnehmenden Baukörper, wodurch dessen Dimension unterstrichen wird. Interessant ist, dass der Fotograf nicht das ausgezeichnete »Headquarter« Boss‘ oder das Outlet-Center selbst, sondern nur einen Nebenschauplatz ablichtet. Dieser zeigt, wie groß der Flächenverbrauch eines Unternehmens von Weltrang und entsprechender Strahlkraft ist.

Parkhaus ist zudem ein Hinweis auf die Modernisierungsprozesse auf der Alb. Denn diese war einst eine Hochburg der Textilindustrie. Um gegen die Konkurrenz aus dem Ausland Stand zu halten, brauchte es innovative Ideen und handwerkliche Qualität. Durch diese konnte die Alb wieder zu einem textilen Spitzenreiter werden: Maschinen werden weltweit exportiert, Hightech-Stoffe produziert und Markenware hergestellt.

Das Bild der Alb wird nicht nur durch Landschaft und weltweit agierende Firmen geprägt, sondern auch durch kleinere, ortsansässige Betriebe, die sich durch handwerkliches oder technisches Knowhow ihren Platz sichern. Ein Beispiel hierfür ist das Bild Möbelproduktion.

Zu sehen sind Baumstämme, die von einem Mitarbeiter auf am Boden liegenden Holzbrettern gestapelt werden. An den Rändern des Platzes lassen sich verschiedene Produktionsphasen oder auch Restprodukte erahnen. Der genaue Vorgang der Produktion und auch die Endergebnisse bleiben dem Publikum jedoch vorenthalten, Zerback konzentriert sich auf die Basisarbeit, die scheinbar nur von einem einzigen Mitarbeiter ausgeführt wird und sich nur geringfügig von Verfahrensweisen früherer Zeiten unterscheidet.

Die Gegenüberstellung der beiden Fotografien Solarpark und Steinacker zeigt, dass sich das Gesicht der deutschen Landschaften wandelt und weiter wandeln wird. Einige Landstriche werden weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden, andere stärker der Erholung und Freizeit zugeschlagen werden und wieder andere werden durch alternative Energiegewinnung gekennzeichnet sein. Kernkraftwerke wie in Grundremmingen werden (vielleicht) aus dem Landschaftsbild verschwinden und Windrädern und Photovoltaikanlagen Platz machen. Dass gerade weniger dicht besiedelte Regionen hierfür ideal sind, liegt auf der Hand. Ebenso wie die Tatsache, dass derartige Wandlungsprozesse nicht ohne den Protest der lokalen Bevölkerung auskommen.

Gleichzeitig bieten alternative Energiegewinnungsmethoden zusätzliche Einkommensquellen für das Land. Zerback zeigt in seiner Arbeit ein weites Feld aus Photovoltaikanlagen, in denen sich der Himmel spiegelt. Die Arbeit ist wertungsfrei. Der Reiz des Motivs liegt, ebenso wie bei Parkhaus und Sportplatz, in der kontrastierenden Gegenüberstellung von Natur und geometrischen, sich wiederholenden Strukturen der Zivilisation.

Marco Hompes, August 2023

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Rezension »Heidenheimer Zeitung« - 15.08.2023

Auf den Spuren der Spuren

Kultur

Der Mensch verändert die Natur – zum Guten wie zum Schlechten. Dieses Spannungsfeld untersucht Rainer Zerback im Kunstmuseum.

Von Maximilian Haller

Schon die amerikanischen Ureinwohner hatten ein Faible für sie. Archäologen auch. Die Polizei ganz besonders. Die Rede ist von Spuren. Rainer Zerback ist ebenfalls auf der Suche nach ihnen. Er interessiert sich jedoch weniger für Pfotenabdrücke, Mumien oder Haarproben. Der Künstler hat sein Auge auf zivilisatorische Hinterlassenschaften unserer Zeit geworfen. Seine Erkenntnisse hält er in Fotografien fest. Das aktuelle Projekt »Metamorphosis« präsentiert Zerback derzeit im Kunstmuseum Heidenheim.

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Rezension »Heidenheimer Zeitung« - 07.11.2023

Kunstmuseum Heidenheim

Künstler Rainer Zerback will die Welt »als etwas Fremdes sehen«

Mit einem Künstlergespräch ist die Ausstellung des Fotografen Rainer Zerback zu Ende gegangen. Es bleibt ein Buch.

Von Günter Trittner

Rainer Zerback denkt groß: im Raum und in der Zeit. Das muss er auch. Denn der Fotograf hat sich eine große Aufgabe gestellt. Er will im Bild festhalten, was Menschen am Hier und Heute interessieren könnte, wenn sie in 50 oder 100 Jahren zurückblicken. Das könnte auch die Arbeit eines Archivars sein. Doch der Künstler Zerback schafft seine eigene Realität, die wahr und künstlich zugleich ist.

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SWR Landesschau - 17.08.2023