Fotografie

Visiones

Ausstellung im Salon des Beaux Arts in Stuttgart

11.12.2022 bis 28.01.2023

Einführung Gerhard van der Grinten

Mutter, ich glaube, wenn ihr mir Federicos Falken verschaffen
könntet, so würde ich gleich gesund werden.
Giovanni Boccaccio, Decameron

Es gibt Berufungen, oder vielmehr Passionen, die wirken heutzutage beinahe wie aus der Zeit gefallen. Die Falknerei ist so ein Gewerk. Kaum jemand in unseren Breiten, der ernsthaft in diesen Tagen mit Greifen auf die Jagd zu gehen pflegte. Bestenfalls erinnerte man sich an die notorische Novelle des Boccaccio. Dabei ist sie schon vorzeiten ein Privileg gewesen. Das der Adeligen, der vornehmen Herren und Damen nämlich. Dem gemeinen Volk war es untersagt, sich einen Raubvogel traulich zu machen und ihn an sich zu gewöhnen. Was, wenn man ehrlich ist, schon eine außergewöhnliche Symbiose zwischen Säugetier und Vogel darstellt. Geschweige denn, dass der gemeine Plebs auf das herrschaftliche Wild sich anzusitzen hätte anheischig machen dürfen. Nicht einmal um den drängenden eigenen Hunger zu stillen. Das Metier war mit den Kreuzzügen aus dem Nahen und Mittleren Osten zu uns überkommen. Und dort ist es nach wie vor den sehr Wohlhabenden vorbehalten und ein Symbol von Macht und Bedeutsamkeit. Kam die Beizjagd von den morgenländischen Notablen zu den abendländischen Rittern, so mag der eine oder andere, der dieser Leidenschaft frönt, sich darum auch ein wenig ritterlich vorkommen. Der Stauferkaiser Friedrich II. höchstselbst verfasste ein Standartwerk dazu, mit solchem Aplomb, dass der Beinahme der Falkner ihm für alle Zeiten anhaften bleiben sollte. Aus den Illustrationen etwa der Manessischen Liederhandschrift aber kann man auch durchaus ersehen, welch extravagantes Vergnügen den minnenden Paaren die Falkenjagd geboten hat.

Einen ausgewachsenen Greif, schon gar einen Adler auf dem Arm zu balancieren ist aber nicht jedermanns Sache und nicht zuletzt auch ein gehöriger Kraftakt, und man sollte es allenfalls behandschuht tun. Den man lässt sich auf Raubtiere ein, die all den Eigensinn besitzen, der notwendigerweise in ihrer Natur liegt. Räuber müssen intelligenter sein als ihre Beute. Gras läuft ja nicht weg. Sie brauchen schärfere Sinne, den planvollen Verstand. Und die Abgebildeten hier sehen allesamt um ein Vielfaches besser als wir. Von der akrobatischen Avionik dieser Wesen nun einmal ganz zu schweigen. Und so zeigen sie alle wache und aufmerksame Blicke. Und sind darin unstreitig anwesende Individuen. Mehr noch als die anderen die Eulen, die einzigen Vögel, und neben Affen und Katzen die einzige Tierfamilie, die den Blick aus zwei Augen in Frontstellung nach vorne richten. Und, wenn wir sie anschauen, zurückblicken. Manchmal fast unbehaglich tief in uns hinein. Nicht umsonst waren Eulen, Katzen und Meerkatzen den Menschen der voraufgeklärten Zeit so spukhaft unheimlich. Hielt den Mensch doch eine Seele in völliger Überschätzung seiner Art für sein Alleinstellungsmerkmal.

Rainer Zerback hat nun den Greifen und ihren Falknern eine ganze Serie gewidmet. Die ist über Jahre hinweg entstanden. Nicht nur, weil Falknereien eine rare Einrichtung sind, oft im Gefolge der Attraktionen einer alten Burg, die ihrerseits die notwendige Topographie, Verwinkeltheit und die Freiheit des Luftraumes bietet. Sondern auch, weil für die Abbildung eines solch eigensinnigen Verhältnisses vertrauensbildende Maßnahmen nötig gewesen waren. Auffällig ist: so eigen wie die Tiere sind auch die menschlichen Gefährten, die mit ihnen korrespondieren, das sind reichlich Verquere und Verhutzelte, eigentümliche Romantiker, Antlitze, wie man sie auf den Gemälden der Altdeutschen Meister finden könnte, wie solche, die auch auf dem Laufsteg bella figura machten. Wettergegerbte Wildhüter, naturbelassende Ranger, aber auch Gesichter, die direkt den Heimatfilmen der 50er Jahre entsprungen sein könnten. Ohne dass das hier je heimattümelnd wirken würde. Eher archaisch. Das ist in der Summe eine recht breite Mischung von Typen und Gestalten. Freigestellt allesamt, einen numinosen Himmel hinter sich und nichts, was ablenkte, ist die zweite Persönlichkeit stets der Greif. Und das völlig Verblüffende dieser Doppelportraits, denn solche sind sie ganz dezidiert, ist nicht nur die Intimität, die zwischen diesen Paaren herrscht, sondern dass sich offensichtlich Paare in eine Beziehung gefunden haben, deren subtiler Psychologie die Photographien sichtbar zu machen vermögen. Ja, die sogar wechselseitige Ähnlichkeiten hervorruft, und zwar auf eine viel frappantere Weise als etwa bei Herrchen und Hund. Da mögen die Menschen eine Haltung angenommen haben, manchmal auch eine Pose, die Vögel zeigen nicht weniger Ausdruck, ob nun habacht sitzend oder aufgeregt Flügel schlagend, oder stolz und schlicht und souverän den Ton und die Blickachse vorgebend.

Denn eines ist auch auf wirklich verblüffende Weise offensichtlich: es ist beileibe nicht der Falkner, der den Ton angibt...

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