Fotografie

Recent Topographics

Ausstellung im Raum S4.17 in Mannheim

22.10.2021 bis 27.11.2021

Rundgang

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Einführung Marie-Kathrin Blanck

Wie so vieles, haben sich in der letzten Zeit auch unsere Sehgewohnheiten geändert. Jeder, der in einer belebten Stadt oder Metropole lebt, hat erlebt, wie stark sich teilweise unsere gewohnte Umgebung verändert hat. Menschenleere Straßen, wie leer gefegte Plätze. Denn, und da sind wir uns wohl einig, die entscheidende Eigenschaft der Stadt sind ihre Menschen. Rainer Zerbacks Fotografien, die Sie hier heute sehen, spielen mit diesen Wechselbeziehungen. Menschenvoll – menschenleer. Wir sehen urbane und natürliche Landschaften, jedoch immer geprägt vom Menschen, graduell abgestuft. In der Ausstellung stehen sich diese verschiedenen Serien gegenüber und eröffnen so neue Lesarten, Gemeinsamkeiten und Gegensätze.

In seinen seriellen Arbeiten achtet Zerback bewusst auf verbindende Elemente und eine wiederkehrende Bildsprache, die jedoch eine Balance finden zwischen Konstanz und Variation. So ist auch Places of Interest unterteilt in Untergruppen, Städte und Landschaften, die sich an den entgegengesetzten Wänden gegenüberstehen. Hier sind Menschen in Szene gesetzt, die sich sowohl in ihrer Gesamtheit als auch im Detail erschließen lassen. Anstelle eines »Bild-finders« wird Zerback zum »Bild-erfinder«, Fotograf und Regisseur, der die Zeit auf eine Ebene im Bild verdichtet. Eingebettet in Naturlandschaften, touristisch interessante Orte, werden die Menschen und einzelnen Personengruppen hierbei, wie auch schon zu Beginn der Fotografie, wo aufgrund der Belichtungszeiten eine Abbildung nicht möglich war, in die Szenerie eingefügt. Es entstehen Zusammenstellungen, die es so in Wirklichkeit nie gab, gar nie geben kann. Unmögliche Konstellationen, wenn etwa Radfahrer auf Fußgänger zufahren. Aus erhöhter Position heraus sammelt Zerback interessante fotografische Versatzstücke, die dann in mühsamer Kleinstarbeit zusammengefügt werden. Oftmals mehrere 100 bis zu 1500 Einzelaufnahmen, die dann auf 40 bis 110 Elemente heruntergebrochen, neu interpretiert werden. Die Natur wirkt verfremdet, wird vielmehr zur Kulisse für dieses Theater des Lebens. Im Unterschied zu den Naturlandschaften sind die urbanen Plätze der Städte von vornherein für den Menschen geschaffen. Zerback schafft auch hier neue Zusammensetzungen, die uns einladen, genau hinzusehen, um eine neue Sicht zu finden auf das, was uns alltäglich umgibt.

Auf den ersten Blick scheinbar unberührt, bilden die Contemplationes als Schwerpunkt der Ausstellung einen Gegenpol dazu. Doch auch hier lassen sich Zeichen des Menschen finden. Dabei erheben sich Objekte und Architekturen gegen farbig verschwimmende Landschaften, Wasser und Wolken. Die Farb- und Tonwertinterpretationen entstanden in ihrer Grundidee aufgrund eines Entwicklungsfehlers im Labor. Experimente sind natürlich nichts Ungewöhnliches in der Fotografie – denkt man beispielsweise an Man Ray und Lee Miller und die vermeintliche Erfindung der Solarisation, bei der eine Maus eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Begonnen als Laborfehler bringt Zerback seine Bilder folgend gezielt auf eine bestimmte Tonalität und Farbigkeit. Diese Farb-Verfälschungen oder Verfremdungen der Wirklichkeit sind Uminterpretationen Zerbacks, die eine duftige Helligkeit und eine traumartige Atmosphäre erzeugen. Verstärkt noch dadurch, dass keine der Aufnahmen direkt auf einen Ort schließen lässt. Anstelle einer objektiven Wiedergabe der Wirklichkeit sehen wir auch hier wieder von Zerback komponierte Bilder, die mehr an Aquarelle als an Fotografien erinnern. Die melancholisch wirkenden Traumlandschaften, die in ihrer hauptsächlich parallelen Linienführung in die Ferne weisen, werden jedoch immer wieder gebrochen durch Relikte der Zivilisation. Es sind genau diese Momente, die eine Ambivalenz erzeugen, die uns einlädt, das Gesehene zu hinterfragen, und vielmehr eine subjektive Lesart der Fotografien betont.

Auch in der folgenden Abfolge sind Landschaften konfrontiert mit Stadtlandschaften, die jedoch im Gegensatz zu den Places of Interest von keiner Menschenseele bevölkert zu sein scheinen. Anstelle von Spuren des Anthropozän vereint Geopolis vom Menschen extrem geprägte Landschaften. Zukunftsvisionen in der Wirklichkeit verankert.

Den stärksten Kontrast der Ausstellung bilden Cumulationes und Constructiones. Die unberührte Natur Islands, die, in ihren Formen sich selbst überlassen, natürliche Gebilde formt, und Autoschrottlandschaften, die Relikte der menschlichen Zivilisation zu neuen Landschafsgebilden aufgetürmt festhalten.

So zeigt die Ausstellung aktuelle Themen, die das Zeitalter des Menschen vereinen. Denn die Menschheit, ihre Technologien und Auswirkungen haben sich mittlerweile bis in die äußersten Ecken unserer Erde erstreckt. Daran erinnert auch der Titel der Ausstellung »Recent Topographics«. Denn in den 1960er Jahren entwickelte sich als Antwort auf eine idealisierende, romantisierende Landschaftsfotografie die Fotografie der »New Topographics«. Die Ausstellung New Topographics: Photographs of a Man-Altered Landscape im George Eastman House in Rochester bringt 1975 unter anderem Robert Adams, Lewis Baltz, Nicholas Nixon und auch die Deutschen Bernd und Hilla Becher zusammen. Sie alle stellten die städtischen oder vorstädtischen Realitäten im Wandel dar, Alltagsszenen, denen man normalerweise keinen zweiten Blick schenkt.

Ein Reflektieren, Zurückgehen und Neuinterpretieren von Bisherigem und Bekanntem zeigt auch Rainer Zerback in »Recent Topographics«. Nicht nur in der thematischen Ausrichtung sondern auch, indem hier neue und ältere Serien in Dialog treten oder gar einzelne Bilder nun in neuem Licht erscheinen. Zerback bearbeitet die als analoge Fotografie aufgenommenen Bilder heute teilweise digital. Beispielsweise wurden die vormals roten Mülltonnen einer Strandlandschaft, die in starkem Kontrast zur Meeresszenerie standen, nun ins Blaue umgefärbt.

Aber treten Sie näher – sehen Sie (neu) für sich selbst.

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