dem Paradies entgegen
Tanz - Fotografie - Film - Installation - Malerei - Cyanotypie
Ausstellung in der Städtischen Galerie Bad Saulgau
25.05. bis 17.08.2025
Einführung Alexandra Karabelas
Sehr geehrter Herr Osmakowski-Miller, sehr geehrte Frau Bauer,
sehr geehrte Künstlerinnen und Künstler, sehr geehrte Gäste,
ich freue mich sehr und fühle mich sehr geehrt, dass Sie beide und Sie alle heute hier sind. Ich bedanke mich auf das Allerherzlichste für Ihre treffenden Worte, Herr Osmakowski-Miller und Frau Bauer, und ich freue mich, Sie und Sie alle, liebe Gäste, nun in die Ausstellung einführen zu dürfen.
Fangen wir so an: Wer sind die Künstlerinnen und Künstler dieser neuen Bad Saulgauer Ausstellung?
Es sind – wie schon lange nicht mehr hier – auffallend viele Künstlerinnen vertreten und zudem junge Künstlerinnen und Künstler zwischen Ende Zwanzig und Mitte dreißig eben neben den sehr erfahrenen Künstlern. Sie leben in Düsseldorf, Ludwigshafen, Pforzheim, Würzburg, Stuttgart, Berlin, Paris, Ertingen und Bad Saulgau und haben ihre Wurzeln in Spanien, Italien, Deutschland und Frankreich.
Es sind zudem Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Disziplinen oder gar Branchen. Einige von ihnen stellen sogar erstmals – von anderen Orten der Kunst und der Produktion kommend – im Kontext einer städtischen Galerie aus.
Einige von ihnen bringen schließlich Werke mit, die nicht einen einzelnen Künstler oder eine einzelne Künstlerin als Urheber haben, sondern nur möglich geworden sind, weil es viele Urheberinnen und Urheber gibt: Gleich mehrere Male entstand aus einem Kunstwerk oder einer Kunst erst das neue Kunstwerk, das hier zu sehen ist.
Es ist hierbei ein Alleinstellungsmerkmal dieser Ausstellung, möchte ich behaupten, dass sie in besonderer Weise die Kunst der Choreografie bzw. des choreografischen Denkens und des Tanzes in die Räume einer Kunstgalerie bringt. Auch auf diese Weise passiert Grenzüberschreitung: Nicht nur wird eine städtische Galerie zur Bühne und werden deren Räume zu einer Art Spielort stummer Szenen, die der- und diejenige, der oder die sie durchschreitet, vervollständigt; auch kommen die Künste selbst so weiter auf Augenhöhe und stützen sich gegenseitig in ihrer universalen Kraft beweisen.
In alle Richtungen und noch mehr verschiebt diese neue »Fähre«-Ausstellung also bisherige Standards und Grenzen und sie fordert sowohl Konzept und Auftrag einer städtischen Galerie wie sie die »Fähre« ist, heraus. Kurzum: Die »Fähre« wird in den kommenden Wochen in einem sehr zeitgenössischen Kleid erscheinen.
Wer sich darauf einlässt, kann beim Gang durch die Ausstellung zahlreiche blitzlichtartige Momente und Szenen zwischen - ja? – zwischen Himmel und Erde, zwischen Begrenzung und Entgrenzung, zwischen Wirklichkeit und Traum erleben.
Mir war recht früh aufgefallen war, dass das »Paradies« – und kommen wir nun zum Thema – in Bad Saulgau auf irgendeine Weise eine sehr schöne und dichte Präsenz hat. Mir fiel rasch die Paradiestrasse auf, zudem ein gleichnamiges Wirtshaus, das vor 127 Jahren vom Bad Saulgauer Ochsenwirt Stützle gegründet und heute beste Küche anbietet. Vom Paradiesgarten haben wir gerade gehört und vielleicht haben Sie und Ihr die vielen naturnahen Staudenbeete gesehen, hier in der Stadt der Biodiversität.
Mir war dann bald intuitiv klar, dass die Mega-Erzählung vom Garten Eden als gottgegebener Heimat des Menschen auf der Erde und die Frage nach paradiesischen Zuständen heute zur spannenden Kernfrage einer zeitgenössischen Ausstellung gemacht werden könnte, die gleichzeitig natürlich nicht mehr sein kann als ein einzelner Tropfen auf den heißen Stein; eine Skizze, eine episodische Folge von Gedanken und Werken, die wichtige Themen und Motive der Paradies-Erzählung aufgreifen und zum Nachdenken anregen. Denn dafür sind die Probleme und Herausforderungen in der ganzen Welt – die schrecklichen Kriege, die Hungersnöte, die Vertreibungen, die Transformation des Planeten Erde durch den Klimawandel, die Unruhe als prägendes Lebensgefühl, die Härte des Autoritarismus – zu groß. All das steht: Dem Paradies entgegen.
Und schauen wir uns gleich hier im Kreuzgang um:
Rainer Zerback lädt uns mit seinen faszinierenden Fotografien ein, weit in eine mögliche Zukunft zu blicken, in eine Welt ohne uns. Bewusst hängen seine gleißend hell flirrenden fotografischen Arbeiten aus seiner 2000 begonnenen Serie »Contemplationes« hier im Kreuzgang. Sie lassen unsere Blicke in die Weite hinein in leere Niemandslandschaften schweifen, in denen nur noch Reste der menschlichen Zivilisation sichtbar werden. Dass all das schon Gegenwart sein kann, in völlig anderer Weise, zeigt uns die Arbeit von Florian Staudenmaier. Seine Fotoserie »Atlantida del Sol« – das »Atlantis der Sonne« – die übrigens Museumspremiere feiert – führt uns an einen »Lost Place« auf der Insel Lanzarote. Es handelte sich dabei um ein gigantisches Hotelprojekt eines deutschen Investors. Es versprach einst der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft »paradiesische Zustände«, doch wurde das niemals zu Ende gebaut. Staudenmaier näherte sich ihm mit der Fotokamera und lässt es nahbar erscheinen. Weicher, so dass wir den Menschen, die dort zuweilen Unterschlupf gefunden haben, über diese besondere Dokumentarfotografie nachspüren können. Schreiten wir dann von dort aus weiter, befinden wir uns in der Installation von Paco Ladron de Guevara Rodriguez. Ladron de Guevara ist ein Grenzgänger der wahrlich zwischen Choreografie und Bildender Kunst zu tänzeln vermag. Seine Skulpturen aus billigsten Gegenständen im besten Sinne einer ugly aesthetic und in der Tradition der ready mades wirken so fein komponiert wie choreografiert und erzählen sowohl radikal als auch sensibel sowohl von der körperlichen Existenz unseres Daseins auf Erden als auch von einem jungen Lebensgefühl des Getrieben Seins, des Brennens, wohlwissend, dass alles auf den Tod zuläuft. Bewusst hängen die Arbeitend es Künstlers tief oderliegen, so dass wir uns, wie er sagt, ständig zu ihnen hinabbeugen oder gar auf dem Boden neben ihnen sitzen müssen.
Heben wir danach den Blick nach oben, fühlt es sich so an, als ob wir im letzten Akt einer Oper sind: Im spannenden Rückbezug zu den Himmelslandschaften des Barocks blicken wir durch einen von der Düsseldorfer Künstlerin Claudia Rogge konstruierten Tempel in den Himmel, wo die Menschen fröhlich fern der Schwere auf der Erde im Himmelsreich schweben – welche Ironie, dass diese wichtige Verheißung über digitale Montage hergestellt ist und aber erst auf diese Weise die gleichzeitige Darstellung des Ungleichzeitigen ermöglicht.
Es kennzeichnet übrigens gleich mehrere Positionen, dass Sie in Bezug auf wichtige VOR-Bilder in der europäischen Kunstgeschichte, konkret der Renaissance und des nachfolgenden Barock Bezug genommen haben und diese mit Witz und eben Ironie dekonstruieren. Im Zentrum des Geschehens steht hier die wichtigste Hauptfigur im Paradies-Drama: Eva. Was wäre gewesen, wenn sie nicht den Apfel genommen hätte, fragt etwa Sylvia Reh. Reh lässt Albrecht Dürers Eva kurzerhand Adam stattdessen ein Kleeblatt – Symbol des Glücks und der Vollkommenheit – reichen, das Eva der Legende nach vor der Vertreibung rasch noch gepflückt und aus dem Garten Eden mitgenommen habe. Hannah Kohler wie auch Alex Tennigkeit interpretieren hingegen die Vertreibung aus dem Paradies als Akt der Selbstermächtigung der Frau, die sich gleichzeitig allein der Begrenztheit des irdischen Daseins und der damit verbundenen Verantwortung bewusst zu sein scheint. So re-inszenierte Hannah Kohler auf psychologische Art und Weise Michelangelos Darstellung in der Sixtinischen Kapelle als einen Theaterakt wie in der freien Szene. Sie ersetzte die Protagonisten Adam, Eva und Schlange durch die drei Nornen, die in der nordischen Mythologie für die Zeit steht – für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die es übrigens nicht gibt, im Paradies. Im Untergrund des Bildes rennt derweil eine Frau mit nackten Beinen wie auf der Flucht durch einen Kanal in eine neue fragile, starke Existenz? Indem sie sich gleichzeitig selbst für alle drei Rollen zur Verfügung stellte und auf diese Weise mittels digitaler Fotografie das Prinzip der Collage und der Vervielfachung bedient, dockt sie, wie Rogge an neue Formen der Kunstproduktion an. In spannendem Verhältnis dann dazu die Malerei von Alex Tennigkeit. Auch ihre Eva ist ein Selbstportrait und mehr. Man empfindet Mitgefühl mit ihr, wie sie so im Bikini und in Sandalen auf brennender Erde steht gerade vor dem Paradies während sich Adam mit krummem Rücken in die Büsche davon stiehlt.
Mit den Arbeiten von Stephany Lugassy und Donna Volta Newmen setzt sich, wenn man so will, die Erzählung in andere Richtungen fort.
Ihre wunderschönen cyanotypischen Arbeiten und Kaltnadel-Radierungen rücken das Thema Natur und unsere Verbundenheit mit ihr in den Blickpunkt, damit Ruhe und Sehnsucht nach dem Paradies. Von Frau Newmen lernen wir dabei wieder, dass Gott mit Adam und Eva auch die Distel aus dem Paradies verbannte. Sie steht für Schmerz, Leiden aber eben auch Widerständigkeit. Genau dieses hat die Tänzerin Diana Ionescu erfahren. Nach einer schweren Verletzung fand sie im Wald zurück zur Widerstandskraft im Körper und zu Heilung. Die Hinwendung zu Wald und Natur war die entscheidende transzendentale Erfahrung, im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine zu kommen. Donna Volta Newmen hat mit einem ganzen Team diese Grunderfahrung in einen beeindruckenden Tanzfilm übertragen, für den Martino Semenzato vom Stuttgarter Ballett die Choreografie kreiert hat.
Wir haben das große Glück, gleich im Anschluss das »Prelude« – das Vorspiel zum Film zu sehen. In erweiterter Form wird das Stück in der nächsten Spielzeit beim Stuttgarter Ballett uraufgeführt – wir erleben die Vorpremiere der Adaption eigens für Bad Saulgau. Tanz liegt »Paradiesische Zustände« in der Zukunft.
Und so verstehen wir langsam: Die Mega-Erzählung vom Paradies wird unter immer anderen zentralen Spots beleuchtet – bis hin zur Sichtbarmachung der Frage, wie Kunst heute funktioniert. Zu Gast ist in diesem Zusammenhang Philipp Contag-Lada, der seit mehreren Jahren als Bühnen-, Video- und Computerkünstler mit generativen Codes arbeitet. Seine Bilder sind das Ergebnis von Algorithmen, die er oder andere geschrieben haben und die Datensätze von gefilmten Tanzszenen – Choreografie – in Werke bildender Kunst verwandeln. Sein Werk »Sometimes I wake Up« ist dabei als Referenz an eine der großen Pionierinnen in der Computerkunst zu verstehen: Eva Mola.
Und damit versteht man, warum der Tanz in dieser Paradies-Ausstellung so präsent ist. Das zeigt am Ende auch die Skulptur von Marianne Queneherve: Eine Tänzerin aus Eisen strebt filigran in die Höhe – Bewegung in Material umgesetzt, formvollendet. Der Tanz ist so per se so Repräsentation und gesteigerter Ausdruck des körperlichen In-der-Welt-Seins und Sprache der Seele, die zum Ursprung zurück möchte.
Er ist die Brücke von hier nach da. Und deswegen begrüßt diese Ausstellung ihr Publikum mit der Fotoserie von Andrea D´Aquino, der mit seinen Tanz- und Naturbildern Fragmente des Paradieses inszeniert hat: die Geburt, die Liebe, die Anpassung, den Tod, die Sehnsucht, die Wiedergeburt. Und deswegen endet diese Ausstellung mit dem komplexen Tanzfilm »Eremiten« von Mirko Ingrao, der die universalen Qualitäten des Menschen – den Glauben, die Hoffnung und die Liebe, aber die Liebe ist die größte unter ihnen, so Korinther 1,13 –, die Guido Markowitz 2021 in einem Tanzstück verarbeitete, als eigenständigen Film re-inszeniert. Die Erlösung wird als paradiesischer Zustand ebenso aufzeigt wie jener Mensch sichtbar wird, der laut der biblischen Erzählung das Paradies verlassen musste und seitdem im Leben bestehen muss.
Wir bewegen wir uns munter zwischen Himmel und Erde, Körper und KI, Fragmenten und Kontemplation, Recherche und Rekonstruktion atemlos, sinnlich, wollüstig, befreit, lachend durch das Paradies – wo immer es für Sie gerade ist.
Viel Freude mit der Ausstellung.
Alexandra Karabelas,
Leitung Städtische Galerie Fähre
Rezension »Schwäbische Zeitung« - 05.06.2025
Eine Stadt auf der Suche nach dem Paradies
Von Antje Merke
In Bad Saulgau gibt es eine Paradiesstraße und ein Wirtshaus zum Paradies. Und dank der bunten Staudenbeete grünt und blüht es überall in der kleinen Stadt. Was liegt da näher als eine Ausstellung zum Thema Paradies.
Geborgen oder verloren, mittendrin oder entrückt. Die Vorstellung vom Paradies findet sich in allen Weltreligionen. Im Zentrum dieses Mythos von einem Ort des immerwährenden Glücks steht der Mensch und seine Beziehung zu Gott und der Natur, das Verhältnis von Mann und Frau, von Sehnsucht und Rausch, von Sinnlichkeit und Tod. Die neue Ausstellung in der Städtischen Galerie »Fähre« lädt dazu ein, sich dem Paradies aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Fast alle Positionen stammen von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern. Und so viel sei schon mal verraten: Ihre Vorstellungen vom Garten Eden überraschen.