Recent Topographics
Ausstellung im Richard Haizmann Museum Niebüll
23.04.2021 bis 13.06.2021
Rezension »Schleswig-Holsteinische Landeszeitung«
Wimmelbilder für Fotofans
Richard Haizmann Museum in Niebüll zeigt Arbeiten des Fotografen Rainer Zerback
Arndt Prenzel
Mit Rainer Zerback (kl. Foto) ist derzeit im Niebüller Richard Haizmann Museum ein meisterhafter Fotograf zu Gast. Seine Bilder beschäftigen sich mit Zivilisation und Natur, zwei Gegensätzen, die er auf besondere Art einfängt und bearbeitet. Als er in Death Valley oder auf Lanzarote unterwegs war, dachte er: »Schöne Landschaften! Doch was machen die vielen Leute da?« Da sich der Zulauf der Touristen nicht verändern ließ, switchte der Ludwigshafener um: »Ich mache eine Serie von Landschaften mit Menschen, selbstkomponiert und auf den Punkt gebracht.«
Es entstand eine unglaublich eindrucksvolle Bildfolge, weltweit realisiert. Mit seinem sieben Meter Hochstativ fängt er die Szenerie ein. Die Menschen schauen vielfach aus Neugier direkt die Kamera. »Ich mache rund 1500 Fotos«, sagt er. »Aus den einzelnen Bildern schneide ich die entscheidenden Menschen-Momente heraus und füge sie ein.«
Der Betrachter geht auf Entdeckungsreise. So führt der Fotograf den Besucher der Ausstellung an bekannte Orte, den Alexanderplatz, das Brandenburger Tor oder die Domplatte in Köln. Es sind kuriose Szenen, und es gibt viel zu entdecken: Hochspannende Wimmelbilder für Fotofans. Die Bilder setzen sich aus lauter zusammenmontierten Einzelpersonen zusammen. Dadurch entsteht eine gewollte Künstlichkeit. »So kann es nicht gewesen sein!«, denkt sich der Betrachter und gerät ins Grübeln.
Eindringling Mensch
Aber es ist noch mehr: Der Mensch macht sich nicht nur die Städte untertan, er sprengt durch seine Masse auch das schönste Idyll. Für seine Szenen an den Niagarafällen schafft Rainer Zerback die spezielle Dramatik dadurch, dass die Kamera scheinbar über dem Wasserfall schwebt. Tatsächlich ist sie auf einem Vorposten postiert, der bis an die begehbare Grenze und darüber hinaus geschoben ist. Völlig irre wirkt die Schlucht von Verdon, eine der größten Schluchten Europas, und mit ihren steilen Felswänden eine der schönsten und spektakulärsten Landschaften der Welt. Der Fotograf hat die Gorges du Verdon gnadenlos mit Kanus, Booten und anderen Wasserfahrzeugen bevölkert. Die Natur, so sein Fazit, brauche den Menschen nicht. Der Mensch ist der Eindringling an den schönsten Plätzen der Welt.
Die gegenübergestellten Landschaften der Serie Contemplationes erscheinen dagegen meditativ-romantisch. »Die pastellfarben gehaltenen Bilder drohen vor dem Auge des Betrachters zu verschwinden. Sie ähneln einerseits Aquarellen, irritieren andererseits jedoch durch ihre Schärfe und Detailgenauigkeit.« Erst spät merkt man, dass diese Landschaften, Seen oder Felder doch nicht unberührt sind. Autos, Hütten oder Telegrafenmasten sind Zivilisationsspuren. Die Präsenz von Menschen ist spürbar: Was ist daran so merkwürdig, fremd und zwiespältig? Es sind zufällig entdeckte geometrische oder lineare Formen, die sich wiederholen. »In Cordoba fotografierte ich eine Reihe an Fahnenmasten. Nichts Besonders. Doch beim Entwickeln passierte ein Belichtungsfehler. Dadurch wirkte das Bild geradezu überblendet. Die Idee zu einer Serie war geboren.« Der Fotograf bearbeitet die analogen Fotografien digital, reizt so das Optimale heraus. Zum surrealen, entrückten Ausdruck der Landschaften tragen die subtilen Farbverfälschungen bei. Die Balance zwischen ästhetischer Landschaft und Elementen, die das Idyll brechen, enthemmt die Aufmerksamkeit. »Sie sind so angelegt, um beim Betrachter einen Prozess des Bewusstwerdens und Nachdenkens über unsere Lebensräume auszulösen.«
»Recent Topographics« ist bis zum 13. Juni zu sehen. www.haizmann-museum.de
Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 29.04.21, S. 21