Fotografie

Transitions

Ausstellung im Xylon-Museum, Schwetzingen

29.06. bis 18.08.2019

Einführung Prof. Hans Gercke

Lieber Rainer Zerback, lieber Herr Mindhoff, meine Damen und Herren!

Ich möchte meine Einführung beginnen mit einigen persönlichen und damit verbunden auch einigen kunsthistorischen Bemerkungen.

Zum einen: Ich freue mich sehr, dass diese Ausstellung in den Räumen des Xylon-Museums und gerade in diesen Räumen zustande gekommen ist, und dass sich aus diesem Anlass nach längerer Zeit wieder einmal die Gelegenheit ergab, mit dessen Begründer, dem Maler und Graphiker Otto Mindhoff, Kontakt aufzunehmen. Mit Otto Mindhoff verbindet mich einiges – ich will hier nur an unser gemeinsames, zwar Jahrzehnte zurückliegendes, aber immerhin erfolgreiches Bemühen um die Gründung eines Schwetzinger Kunstvereins erinnern. Und ich würde mir wünschen, dass das Museum Xylon mit seinen Ausstellungen und Werkstätten auch künftig im reichen Kulturangebot der Stadt Schwetzingen seinen Platz behaupten kann.

Zum anderen freue ich mich, dass für diese Ausstellung der in Mannheim und Ludwigshafen lebende und arbeitende Künstler Rainer Zerback ausgewählt wurde, den ich erst seit kurzer Zeit kenne – genauer gesagt erst seit 2017, seit den Vorbereitungsarbeiten zur Ausstellung »Radiale« 2018 des Rhein-Neckarkreises, bei der ich als Juror und Kurator beteiligt war. Unter den zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern, die sich heute mit Fotografie befassen, sich des Mediums der Fotografie bedienen, nimmt Zerback eine sehr eigene, unverwechselbare Position ein, deren Spannweite Sie beim Gang durch die beiden Räume dieser Ausstellung nicht nur erahnen, sondern auch erleben können, auch wenn Sie vielleicht bisher noch keine Arbeiten des Künstlers gekannt haben. Denn außer den hier gezeigten Beispielen aus den weitaus umfangreicheren Werkgruppen Contemplationes und Visiones gibt es noch zahlreiche andere, wie Sie aus den hier ausliegenden Katalogen ersehen mögen.

Dass in einem der Druckgrafik gewidmeten Museum Fotografie gezeigt wird, ist weder selbstverständlich noch abwegig.  Die internationale Künstlervereinigung, auf die sich die Benennung des Museums und seiner Werkstätten bezieht, meint mit »Xylon«, dem griechischen Wort für Holz, zwar ursprünglich und in erster Linie die älteste graphische Technik, den Holzschnitt, den es in Ostasien längst vor Europa gab, und mit dem mit dem die weltweit wahrhaft revolutionäre Entwicklung der visuellen Kommunikationstechniken begann, die über Bild- und Buchdruck, Kupferstich und Radierung, über die Erfindung von Lithographie und Siebdruck bis hin zur heute allgegenwärtigen Digitalisierung reicht und damit wahrscheinlich noch längst nicht an ein Ende gelangt ist – mit allen damit verbundenen positiven Auswirkungen, aber auch, wie es in den Beipackzetteln der Pharma-Industrie so schön heißt, zahlreichen möglichen negativen »Risiken und Nebenwirkungen«.

War »Kunst« schon immer nie »nur« Kunst, so haben die neuen Reproduktions- und Multiplikationstechniken die Tendenz einer Differenzierung – hier Kunst, dort Information, Werbung und Kommerz – entscheidend gefördert, ohne dass von einer klaren Grenzziehung die Rede sein könnte, meines Erachtens auch gar nicht sein muss. Dass in den hier angesprochenen Kontext der Entwicklung der grafischen Medien auch die Fotografie gehört, ist heute ebenso wenig eine Frage wie die, ob denn Fotografie überhaupt Kunst sein könne. Ich erinnere mich allerdings noch gut an die heftigen Diskussionen, die 1977 die VI. Documenta auslöste, als sie erstmals Fotografie und Video einen gleichberechtigten Platz neben anderen Kunstäußerungen einräumte und den »neuen Medien« damit gleichsam die Weihen der »hohen Kunst« verlieh.

Damals, im Gefolge von Objektkunst und Objet trouvé, war es gerade nicht die traditionelle, in versuchter Nachahmung der Malerei inszenierte und geschönte Atelier-Fotografie, der diese Weihen galten, sondern eine im Sinne der Umwertung des scheinbar Selbstverständlichen, Flüchtigen, vermeintlich Bekannten und vorgeblich Banalen auf das Fremde im vermeintlich Vertrauten verweisende – man denke etwa an die trockenen Industriefotos der Wasser- und Fördertürme von Bernd und Hilla Becher, aber gerade der Hinweis auf die Bechers zeigt auch, dass es in dieser Art von Fotografie – ich habe sie einmal in einer Ausstellung als »demonstrative Fotografie« bezeichnet – nicht um die Wiedergabe von Wirklichkeit im Sinne vordergründiger Reproduktion ging, sondern um die Erzeugung einer eigenen Bildwirklichkeit gerade in der engen Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen. Dürers berühmtes und vielzitiertes Wort fällt mir dazu ein: »Die Kunst steckt in der Natur. Wer sie heraus kann reißen, der hat sie«.

Ich denke, genau dies trifft auch auf die Arbeiten von Rainer Zerback zu, der sich seit 1989 intensiv mit Fotografie und sehr verschiedenen der ihr eigenen gestalterischen Möglichkeiten auseinandergesetzt hat. 

Charakteristisch für Zerbacks Schaffen ist, dass er in Serien arbeitet, die sowohl inhaltlich wie formal unverkennbare Merkmale der Zusammengehörigkeit aufweisen, in deren Rahmen sich dann wiederum ein breites Spektrum von inhaltlichen und formalen Möglichkeiten eröffnet, die sich aber ihrerseits untereinander, wie auch diese Ausstellung mit dem bezeichnenden Titel »Transitions« zeigt, nicht unerheblich von einander unterscheiden. Spezifische Serienmerkmale ergeben sich aus dem Fundus persönlichen Erlebens, kristallisieren sich als Ernte zahlloser Reisen heraus, zufälliger oder in gezielter Suche gefundener Entdeckungen, sorgfältiger Beobachtung und intensiver Reflexion des Gesehenen und Erlebten. Sie werden nach konzeptuellen Kriterien geordnet, kondensieren im Spannungsfeld des Wahrnehmens und Reflektierens zur Eigenständigkeit von Bildern und Bildfamilien, die in der gezielten Suche nach weiterem Bildmaterial, neu entstehendem oder auch bereits vorhandenem aus dem Fundus, ergänzt werden.

Solche Bildfamilien waren etwa die Places of Interest oder die Serie Geopolis, die wir bei der »Radiale« zeigten, im einen Fall Aufnahmen aus urtümlichen Landschaften, die von Touristen aufgesucht werden, die die Schönheit unzerstörter Natur genießen wollen, aber gerade dadurch, durch ihr massenhaftes Auftreten, die ersehnte Ursprünglichkeit unweigerlich und nachhaltig vernichten. Im anderen, mit der deutlichen Anspielung des Titels auf den berühmten Film von Fritz Lang, »Metropolis«, keineswegs utopische, sondern sehr reale Megastadtlandschaften, die erst auf den zweiten Blick irritieren: Denn da sind keinerlei Menschen zu sehen, wohl aber, was sie gebaut haben. Umgekehrt finden sie sich bei den Places of Interest in endlosen Karawanen ein, und obwohl wir inzwischen Dokumentarfotos von solchen Massenwallfahrten kennen, etwa des Aufstiegs zur mittlerweile zweitgrößten Müllkippe unserer Welt nach den Ozeanen, dem Mount Everest, wirken diese Bilder einerseits sehr dokumentarisch, unmittelbar lebensnah, andererseits aber irritierend fremd.

Und in der Tat: Ausgangspunkt, und damit komme ich auf die hier gezeigten Arbeiten, ist immer eine reale Situation. Aber nicht eine neutral und emotionslos festgehaltene, sondern eine, deren subjektives Erleben der Künstler ins Bild eingebracht hat, Bild werden ließ, denn ebenso wie die großen Landschafts- und Porträtmaler vergangener Epochen geht es hier um die Relation zwischen der Wirklichkeit und ihrer subjektiven Wahrnehmung und Reflexion, die sich objektiviert im Bild. Im Bild, das nicht freies Spiel mit Farben und Formen ist, aber auch nicht Abbild.

Wer genau hinsieht, bemerkt, dass Zerback seine Fotografien bearbeitet hat. Weniger mit digitalen Mitteln als vielmehr ganz konventionell im Labor. Denn es geht ihm nie um den »Schnappschuss«, die Momentaufnahme, schon gar nicht im Zeitalter der ebenso massenhaften wie redundanten, das Sehen, die persönliche Wahrnehmung weitgehend ersetzenden Selfies, in dem die Fotografie als Kunstgattung nur überleben kann in der klaren und bewussten Distanzierung.

So könnten Sie bei den Places of Interest vielleicht entdecken, dass einzelne Personen – es fällt zunächst gar nicht auf – im Bild mehrfach vorkommen. Und in denen der Serie Geopolis wurden alle Bewohner und Akteure, Fußgänger und Fahrzeuge, gnadenlos eliminiert – mit fototechnischen Kniffen kein Problem, aber natürlich ein inhaltliches und formales Statement. Ein Hauch von Kritik? Eine politisches Aussage?

Vieles schwingt hier mit, aber Zerbacks Kunst ist keine Politkunst, kein künstlerischer Wink mit dem Zaunpfahl. In erster Linie geht es um das Bild – mit allen Assoziationen, die es als solches beim Betrachter auszulösen vermag. Und genau dies trifft auch auf die hier gezeigten Bilder zu:

Im ersten Raum sehen Sie Landschaften aus aller Welt. Natürlich wollen Sie wissen, wo diese aufgenommen wurden. Sie können  den Künstler dazu befragen, er wird es Ihnen sicher verraten – der Ort der Aufnahme ist kein Geheimnis – aber er ist für die Betrachtung des Bildes nicht von Bedeutung, er wird daher auch nicht im Titel genannt. Denn, wie der Titel der Serie verrät, geht es nicht um die Wiedererkennung bestimmter Orte, sondern um Kontemplation. Wir sehen Orte, die sich einer klaren Festlegung entziehen. Technisch operierte Zerback dabei mit dem Effekt der Überbelichtung, aus einem Belichtungsfehler wurde so ein bewusst eingesetztes Gestaltungsmittel. Und Zerback scheut sich nicht, Details, die für die von ihm intendierte Bildaussage ohne Belang, ja vielleicht sogar störend sind, zurückzudrängen oder ganz zu eliminieren – oder umgekehrt inhaltlich bedeutungslose Details hervorzuheben, wenn dies die Architektur des Bildes erfordert.

Zerbacks romantisch anmutende Sfumati versetzen uns, die Betrachter, ins Reich der Träume, der Erinnerungen und Ahnungen. Jede Klarheit und Eindeutigkeit schwindet, um so nachhaltiger behauptet sich das Bild – als Bild. Einzelne Arbeiten überschreiten die Schwelle zu Abstraktion, zur Konkreten Kunst.

Ganz anders die Doppelporträts der Falkner und Falknerinnen und ihrer Partner: Keine Spur von Sfumato. Statt dessen präzise, monumentale Klarheit. Größtmögliche Nähe zur Realität stellt diese, paradoxerweise, in Frage. Auch diese Bilder wirken seltsam unwirklich, gleichermaßen faszinierend wie verunsichernd, eröffnen Fragen. Was hat es auf sich mit unserem Verhältnis zu unseren Mitgeschöpfen? Erinnern uns diese Vögel nicht an Wappen, an Symbole für menschliche Macht und Stärke? Gezeigt werden wiederum nicht irgendwelche Montagen, keine Konstrukte, sondern die konkreten Beziehungen zwischen Mensch und Tier, porträtiert auf Augenhöhe und im beiden Partnern gerecht werdenden Querformat. Wobei die Augen in der Bildwirkung von ganz besonderer, geradezu suggestiver Bedeutung sind, menschlicher Sehkraft buchstäblich himmelhoch überlegen.

Und wie bei den Contemplationes wurden auch diese Bilder nachbearbeitet. Nicht manipuliert im Sinne der Produktion von Collagen oder irgendwelchen skurrilen, surrealen oder absurden Konstellationen, wie sie zwar im Bild möglich wären, nicht aber in der Realität, sondern ganz im Gegenteil: Zerback hält sich strikt an die Realität, aber er verschärft, reduziert, konzentriert. Die Aufnahmen sind inszeniert, keine Frage, und es waren zum Teil zahlreiche Ansätze und Versuche notwendig, bevor es zu dem vom Künstler intendierten Bildresultat kam. Schließlich mussten die stolzen Vögel ja mitspielen. Und dann wurde Unwesentliches weggelassen, der Hintergrund neutralisiert, das Motiv dadurch monumentalisiert. Nicht das Episodische interessiert, sondern das Skulpturale.

Kunst verweist auf Wirklichkeit, aber nicht indem sie deren Oberfläche kopiert. In der Wirklichkeit des Bildes konzentriert sich unser Erleben von Wirklichkeit als Dialog zwischen dem Dargestellten und der Darstellung, zwischen dem Autor des Bildes und dessen Rezipienten und nicht zuletzt auch zwischen dem Gezeigten und dem Raum, in dem es gezeigt wird. Entdecken sie die ebenso diskrete wie sensible Logik der Zusammenstellung dieser Bilder, ihrer Kommunikation untereinander. Ich wünsche Ihnen viel Freude, Genuss und vielleicht auch manche neue Einsicht bei der Sichtung der Exponate.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Heidelberg, 29.06.2019
Hans Gercke

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Ankündigung »Schwetzinger Zeitung«

Xylon-Museum + Werkstätten: Rainer Zerback zeigt einzigartige Landschaftsfotografien und Porträts von Menschen und Greifvögeln / Vernissage am Samstag

In diese Bilder muss man eintauchen

Von Katja Bauroth

Es ist soweit alles vorbereitet für die Vernissage am Samstag, 29. Juni, um 17 Uhr im Xylon-Museum + Werkstätten. Der in Ludwigshafen und Mannheim lebende Fotograf Rainer Zerback gastiert mit seiner Ausstellung »Transitions« in den Räumen von Museumsleiter Otto Mindhoff.

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Rezension »Schwetzinger Zeitung«

Xylon-Museum: Fotografien von Rainer Zerback zeigen Landschaften und Falkner / Werke sind analog und digital entstanden

Überbelichtung ist sein Werkzeug

Von unserer Mitarbeiterin Sabine Zeuner

Was ist hier passiert? So möchte man denken, tritt man in den ersten großen Raum den Xylon-Museums, das derzeit Örtlichkeit für die Ausstellung des Fotokünstlers Rainer Zerback ist. Überbelichtet erscheinen die Bilder, die eindeutig Landschaften, Szenen zeigen. Eigentlich ist die Überbelichtung ein Fehler, den man als Fotograf gerne vermeidet.

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